Sobald in der Altenpflege der Begriff KI fällt, weiten sich die Augen und die Stirn wird kraus. Viele sehen vor dem inneren Auge Roboter, die mechanisch mit Menschen reden oder sie mit ruckartigen Bewegungen anziehen. Mit diesen Vorurteilen räumt ein Projekt der Caritas Dortmund im "KI-Cockpit" des Bundesarbeitsministeriums auf.
Viele kleinteilige, eher banal erscheinende Aufgaben, die im Pflegealltag Zeitfresser sind, soll künftig die KI mit Spracherkennung auf einem digitalen Dashboard zusammenführen. Besondere Vorkommnisse oder Wünsche der Bewohner:innen werden nicht mehr auf den Zettel geschrieben oder, fehlt er, auf dem Handrücken notiert, sondern eingesprochen. Die Essensbestellung wird nicht aufgeschrieben, sondern von Tablet oder Smartphone direkt in die Küche geschickt. Immer neue Ideen haben die Pflegekräfte des Caritas-Altenzentrums St. Antonius mit den begleitenden Forscherinnen der Hochschule Aalen dazu entwickelt, was ihnen die KI abnehmen könnte. Nach Abschluss der Projektphase 2025 wird sich zeigen, wie und wie sehr die KI entlasten kann bei Alltagsroutine und Dokumentation - für mehr Zeit für die alten Menschen und weniger Stress für die Alternpfleger:innen.
Die Kontakte für das Projekt geknüpft und die Partnerschaft "an Land gezogen" hat der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Caritasverbands Dortmund, Ansgar Funcke. Schon seit 2018 beschäftigte er sich mit dem Thema KI und Robotik. In Kooperation mit Doris Aschenbrenner, Professorin für Digitale Methoden in der Produktion an der Hochschule Aalen, und Oskar von Stryk, Professor für Simulation, Systemoptimierung und Robotik an der TU Darmstadt, begannen erste Überlegungen und Gespräche, wie zukünftige Technologien gegen den drohenden Fach- kräftemangel im Sozialwesen nutzbar gemacht werden könnten.
Eine KI, die dem Wohl der Menschen dient
Für Funcke war klar: "In unseren Einrichtungen sind die Pflegenden die Expertinnen und Experten. Sie sagen, was sie brauchen, was funktioniert und was nicht." Die Möglichkeit, mitzuentscheiden schaffe sehr viel Akzeptanz. Bislang habe die Digitalisierung in der Pflege nicht im Fokus gestanden. Wenn die Caritas Dortmund jetzt daran arbeite, gehe es nicht darum, dass die Künstliche Intelligenz den Job übernehme, sondern sie solle dabei helfen, ihn mit mehr Zeit machen zu können und damit auch dem Fachkräfte- mangel entgegenwirken. "Wir wünschen uns eine KI, die dem Wohl der Menschen dient", nennt Funcke die grundlegende Idee.
Im Rahmen des Fachdialogs "Mensch-Technik-Interaktion - Arbeiten mit KI" des KI-Observatoriums der Denkfabrik "Digitale Arbeitsgesellschaft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales" ging es auch um die speziellen Herausforderungen im Bereich der Pflege. Hier entstand das Projekt "KI-Cockpit", in dem Grundlagenforschung, empirische Forschung sowie Software-Entwicklung Hand in Hand gehen. Es sollen theoretische und praktische Grundlagen für konkrete betriebliche Anwendungen erarbeitet werden.
Im weitgefächerten Projektträgerkonsortium arbeiten die Hochschule Aalen - Technik und Wirtschaft, das Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement (IAT) der Universität Stuttgart, das nexus Institut in Berlin, die Chemistree GmbH, die Starwit Technologies GmbH und die Caritas Dortmund zusammen. Die Denkfabrik "Digitale Arbeitsgesellschaft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales" (BMAS) fördert das KI-Cockpit mit rund 3,5 Millionen Euro.
Als fruchtbringend erweist sich, dass Wissenschaftler:innen und Forschende sich mit den Menschen zusammensetzen, die die Ergebnisse der Forschung nutzen sollen. Immer wieder begleiteten Forschende der Hochschule Aalen die Pfleger:innen im Altenzentrum St. Antonius in ihrem Arbeitsalltag und stellten jede Menge Fragen. In gemeinsamen Workshops zeigte sich, dass KI den Pflegealltag am besten mit einem digitalen Dashboard mit Spracherkennung unterstüt zen könnte. Dabei ging es nicht um die oft überbordende Dokumentation des Alltags der Bewohner:innen oder besondere Vorkommnisse. In der Praxis müssen die Caritas-Mitarbeitenden viele Kleinigkeiten im Auge behalten, die ihnen bei den Bewohner:innen auffallen, und an die nächste Schicht weitergeben, egal ob Informationen von Angehörigen am Telefon für die Bewohner:innen oder zu fehlenden Pflegematerialien in den Zimmern. "Um drei Uhr hat Frau Meyer einen Termin beim Neurologen" oder "Herr Schröder muss morgen früh nüchtern bleiben", sind Beispiele.
Notizen und Gemerktes können verschwinden
Im anstrengenden Pflegealltag können sowohl Notizzettel als auch wichtige Dinge, die man sich zu merken versucht hat, leicht verloren gehen. Hier soll das digitale Dashboard die Organisation einfacher Arbeitsabläufe in der tagesaktuellen Aufgabenverteilung erleichtern. Ihre Informationen sollen die Pflegekräfte künftig über eine Sprachfunktion an das elektronische Dashboard senden können. Der in ein Tablet oder Smartphone gesprochene Text soll dabei in Schrift umgewandelt werden. Genau dazu wird eine KI, genauer ein Chatbox-System, benötigt. Die technische Umsetzung übernimmt das Würzburger Digitalunternehmen Awesome Technology, das den Sprachassistenten, die Funktionen und das Dashboard entwickelt.
Dieser Artikel wurde veröffentlicht in dem Magazin des Deutschen Caritasverbandes "neue caritas", Ausgabe 03 vom 11.02.2025. Weitere Informationen zu dem Magazin finden Sie auf caritas.de